Kuredu im Januar 2001- Persönlicher Reisebericht von
Daniel Bär
4. Das Außenriff - Blick in das schönste Aquarium der Welt
Wir stehen am Ufer an der Nordseite der Insel, dem Außenriff. Dort
grenzt das Atoll an den offenen Indischen Ozean und bricht an seinem Ende in die
unendliche Tiefe des Meeres ab.
Lutz sagt nach unseren zahlreichen Schnorchelausflügen im Coral
Garden nur: "Ihr seid jetzt reif für´s Außenriff. Treffpunkt ist morgen, 12 Uhr
30, auf Höhe des Bungalows 476 bei den beiden Eisenpins." Diese markieren den
Einstieg ans Außenriff. Auf unsere Frage, was es denn dort anderes zu sehen gäbe als im
"Coral Garden", antwortet Anne nur kühl: "Big Fish". Da stehen wir
nun. Unser Equipment ist nun, wie wir, ebenfalls ausgereift.
Zugegeben, wir sind etwas nervös und warten auf Anne und Lutz,
sowie auf einige andere Schnorchler, die sich den beiden Hamburgern noch angeschlossen
haben. Dann plötzlich sehen wir die Gruppe aus der Ferne auf uns zukommen und werden noch
etwas nervöser. Lutz und Christoph sind mit Filmkameras "bewaffnet", Anne
begibt sich mit einem rosafarbenen Schnorchel ins Gefecht und desweiteren erwähnenswert
sind der um die 50 Jahre wirkende "Grazer", dessen Namen an dieser Stelle aus
Diskretionsgründen ungenannt bleiben wird. |
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Das Meer ist heute ruhig, obgleich die hohe Brandung gewisse Einstiegsschwierigkeiten
erahnen läßt. Vielleicht verweigert auch alleine aus diesem Grund eine Teilnehmerin
schon im Vorwege den Einstieg in das aquaristische Abenteuer. Den Weg nach draußen
müssen wir uns erschnorcheln. Das Wasser ist mit ca. 35 Zentimetern sehr flach und wir
ziehen uns zum Teil mit den Händen am Boden Stück für Stück nach draußen. Nach 20
Metern erreicht uns die Brandung, die wir Welle auf Welle durchschwimmen. Das Wasser wird
jetzt tiefer, und jeder Beinschlag bringt uns in tieferes Wasser und unserer Lust auf
"Mehr" immer näher. Wer versucht, diesen Weg zu Fuß zurückzulegen, wird,
trotz oder gerade wegen des niedrigen Wasserstandes, sein Ziel niemals erreichen, ohne
sich nicht mindestens zehnmal auf den harten Korallen hingepackt zu haben oder wirklich
schwer zu stürzen. Beim flachen Schnorcheln trägt man höchstens ein oder zwei kleine
Schürfwunden davon, die aber beim Erreichen des tieferen Wassers im Nu vergessen sind.
Wir sind draußen, und die Welt, die sich unter mir öffnet,
öffnet und schärft alle meine Sinne für die kommenden Ereignisse unter Wasser. Staunend
betrachte ich hunderte von bunten Korallenfischen, die unter mir schwimmen. Mit meinen
Augen sauge ich alles auf, was sich bewegt und bemühe mich, den Blick nach und nach
ruhiger durch das Wasser gleiten zu lassen, um auch die Dinge zu sehen, die sich nicht so
schnell bewegen. So sehe ich Fische, die sich starr vor Angst unter einer Koralle
verborgen haben und bewegungslos warten, bis wir vorüberziehen. In mir breitet sich
plötzlich Ruhe aus. Meine Bewegungen werden sanfter. Ich lege meine Arme neben meinen
Körper und bewege mich ganz langsam durchs Wasser.
Smaragdgrün leuchtet das Wasser unter mir, blau leuchtende
Papageienfische schwimmen vor mir vorüber, viele kleine, gelb-schwarz gestreifte
Schnapper schweben vor dem Hintergrund tiefblauen Wassers vor mir, und ich höre nur das
Geräusch eines scharrendes Fisches unter mir, der gerade versucht, unter einer Koralle
grabend, nach Nahrung zu suchen. Aufgeschreckt durch hektische menschliche Bewegung und
undefinierbaren Lauten in meiner unmittelbaren Umgebung werde ich auf eine Muräne
hingewiesen, die sich elegant am Boden schlängelnd aus unserer Richtung entfernt. Die
eigenartigen menschlichen Laute werden wir im Laufe der Zeit noch öfter vernehmen, denn
mit dem Schnorchel im Mund und dem unbedingten Willen, gesichtete Fische auf gar keinen
Fall aus den Augen zu verlieren und gleichzeitig die anderen in der Nähe auf denselben
aufmerksam zu machen, ergibt in etwa das Geräusch, einen Nahe am Ertrinken seienden
Menschen zu hören, der in Panik zugleich mit Händen und Füßen im Wasser strampelt,
dabei unkontrolliert "mmh", "mmh" schreit und solange keine Ruhe gibt,
bis er entweder wirklich ertrunken ist oder von einem seiner Mitschwimmer gerettet wird.
In Wirklichkeit sollen aber nur alle anderen denselben Fisch sehen, wie er. Dann ist
Friede im Wasser.
Und es geht weiter. Wir bewegen uns genau am Außenriff in
westliche Richtung. Es geht immer parallel zum Ufer. Rechts von uns liegt der tiefblaue
Ozean, unter uns tauchen immer mehr und immer andersfarbige Fische auf, und links von uns
erreichen die Korallen in Ufernähe schon fast wieder die Wasseroberfläche. Ein Ausstieg
ist jetzt nicht mehr möglich. Und einen Ausstieg wollen wir auch gar nicht. Wir schweben
förmlich im Wasser und ein paar Meter vor uns begleitet uns ein mächtiger Napoleonfisch,
während ich in meinem rechten Augenwinkel seit geraumer Zeit einen grauen Schnapper
beobachte, der mich persönlich zu begleiten scheint. Verringere ich meine
Geschwindigkeit, wird auch er langsamer, beschleunige ich, wird auch er wieder schneller.
Es ist einfach ein irres Gefühl.
Da, etwa 3 Meter unterhalb der Riffkante kommt uns ein
Schwarzspitzenriffhai entgegen und verschwindet ebenso elegant wieder im scheinbaren
Nichts des Ozeans. Vor mir schwebt eine Schildkröte im Wasser, die gerade abtaucht, um in
Bodennähe nach Nahrung zu suchen. Sie wühlt unter den Korallen und scheint auch wirklich
etwas Schmackhaftes gefunden zu haben.
Wir bewegen uns weiter als ich neben mir hektische Bewegungen
wahrnehme. Ich nehme meinen Kopf aus dem Wasser und sehe den "Grazer"
wassertretend, die Brille auf dem Kopf, den Schnorchel hängend in gewisse Panik
verfallen. Lutz ist in der Nähe und versucht ihn zu beruhigen. Der Österreicher fragt,
wann wir aussteigen. Lutz antwortet, daß es jetzt keine Möglichkeit gibt und wir im
Übrigen noch ziemlich am Anfang unserer Tour stehen. Die Taucherbrille des Grazers als
"Beschlagen" zu bezeichnen wäre lachhaft, vielmehr stehen dem schon die
Wasserperlen in und auf seiner Brille und auch auf seiner Stirn, so daß der arme
Alpenländer wohl oder übel da jetzt irgendwie durch muß.
Lutz macht seine Aufgabe als "Buddy", als Retter,
psychologisch und physiologisch betrachtet mehr als gut. Immer wieder versucht er zu
beruhigen, nimmt den Grazer beim Schnorcheln sogar an die Hand, während Lutz in seiner
anderen die Kamera führt. So geht es eben weiter, und auch ich tauche wieder ein in das
schönste Aquarium der Welt. Vor uns taucht aus dem blauen Nichts plötzlich eine Gruppe
von vier Adlerrochen auf, die über den Korallen schwebt.
Wir paddeln gemütlich weiter, Meter um Meter am Außenriff
entlang. Wir treffen auf hunderte von Fischen in Schulen, in lockeren Verbänden,
zerstreut im Wasser, in den prächtigsten Farben und den verschiedensten Arten. Schnapper,
Barsche, bunte Doktorfische, die schlanken Flötenfische, Drücker, Haie und Rochen leben
hier in einem komplexen ökologischen System miteinander und voneinander.
Nach eineinhalb Stunden sind wir am Ende unseres eindrucksvollen
Schnorcheltrips und begeben uns auf Höhe der Bungalows 280 langsam wieder ans Ufer. Wer
den Ausstieg verpaßt, droht mit der Strömung ins offene Meer hinauszutreiben, ohne
Chance, wieder ans rettende Ufer zu kommen. Erschöpft, aber gutgelaunt und mit einer
Fülle von Eindrücken entsteigen wir dem Meer und machen uns zu Fuß zurück zu unserem
Bungalow. Auch unser österreichischer Schnorchelgenosse ist - trotz zeitweiliger
Schwierigkeiten - überwältigt von dem Schauspiel, das sich hier auf Kuredu ganzjährig
unter Wasser vollzieht.
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